Aus dem Gemeindebrief der St. Bartholomäus Gemeinde, Uettingen
Von Pfarrer Peter Laudi
Es ist beschämend: kaum hatten uns die verstörenden Bilder von weggespülten Häusern, Autos, Schiffen und – nun ja – Menschen in Japan erreicht, meldeten sich umgehend die Schamanen, die in der Katastrophe religiöse Zeichen glaubten entdecken zu müssen.
Diesmal sind es jedoch nicht nur die üblichen Extremfundamentalisten, die schon beim Tsunami 2004, beim Hurrikan Katrina oder beim Erdbeben in Haiti im letzten Jahr von einer „Strafe Gottes“ schwafelten: noch während unter den Trümmern an Japans Küste Hunderte, vielleicht Tausende an Unterkühlung und inneren Verletzungen starben, konnte man in zahllosen Wortmeldungen sinngemäß davon lesen, dass sich „die Natur“ oder „die (Mutter) Erde“ gegen den ausbeuterischen Schädling „Mensch“ gewehrt
habe. Solches zu behaupten ist nicht nur neuheidnischer Blödsinn, sondern stellt darüber hinaus noch eine grandiose Geschmacklosigkeit dar. Aus dem Leiden und Sterben Tausender Kapital für die eigene Weltanschauung zu schlagen – so etwas macht man nicht! Dem Schrecken durch einen bronzezeitlichen „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ Sinn herbei zu fabulieren – macht man nicht! Damit sind schon Hiobs Freunde gescheitert, und auch Jesus machte im Hinblick auf den eingestürzten Turm zu Siloah kurzen Prozess mit irgendwelchen Sünden-Deutungen. So wie es dem Turm wurscht war, dass er 18 Menschen erschlug, ist es tektonischen Platten wurscht, dass Millionen Menschen auf ihnen wohnen. Kommt es zu einer Katastrophe, muss jede Deutung, die „den“ Menschen mittelbar oder unmittelbar dafür verantwortlich macht, zur zynischen Unverschämtheit werden. Vom „Willen Gottes“ ist dabei ganz zu schweigen – angesichts des Grauens versagt jede Theologie. Es bleiben nur Gebet und Fürbitte.
Was für Hardcore-Biblizisten und „Mutter Gaia“-Verehrer gilt, muss aber erst recht für Politiker gelten: die Tausende Erschlagenen und Ertrunkenen mit leichter Hand zur Seite fegend, hatten sie nichts Besseres zu tun, als sich – Opposition wie Regierung – auf die kritischen Reaktoren von Fukushima zu stürzen, die bislang noch keinen getötet haben. Man mag nun von Kernkraft halten was man will, aber die offensichtliche „Freude“ von manchen Grünen und Linken über die politisch verwertbare Katastrophe kommt ebenso pervers an wie das hektische und völlig unglaubwürdige Umsteuern der Koalition: es stehen Wahlen an. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Nach Fukushima sei „alles anders“ hört man jetzt von Leuten, die noch vorgestern als die letzten Gralshüter der Kernkraft galten und heute AKWs vom Netz nehmen. Das ist in etwa so sinnvoll wie nach dem Absturz einer 40 Jahre alten Propellermaschine in einem Tornado über Oklahoma die Airbusflotte der Lufthansa in Frankfurt/Main zu parken. Die Einlassungen zeigen entweder politischen Opportunismus oder technische Ahnungslosigkeit – oder beides. Es ist kein Wunder, dass sich in der Folge Angst in
der Bevölkerung breit macht, die sich in ihrer Not mit Geigerzählern und Jodtabletten eindeckt (sparen Sie sich lieber das Geld). Dabei war bei uns die ganze Zeit über nicht so sehr das AKW das Problem, sondern das, was übrig bleibt: die Endlagerung der Brennstäbe. Von der ist allerdings nach wie vor keine Rede – politisch verantwortliches Handeln sieht anders aus. Verantwortliches Handeln. Überlegte Stellungnahmen. Rationaler Diskurs. Ideologiefreies Abwägen. Saubere Berichterstattung. Nüchterne Aufklärung. Das wär’ mal was! Stattdessen läuft die Maschinerie der Zeichendeutung auf Hochtouren. Die Gelegenheit war einfach zu günstig. Selbst Kirchenleute beginnen schon zu hyperventilieren und nehmen das Leid der Japaner zum Anlass, technologiefeindliche Menetekel zu malen. Ich persönlich halte mich lieber an die erste These der Barmer Erklärung aus dem kirchlichen Widerstand im Dritten Reich:
„Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer
Verkündigung außer und neben diesem einem Worte Gottes [d.h. Jesus Christus, Anm.
d. Verf.] auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als
Gottes Offenbarung anerkennen.“
Es gibt kein Zeichen. Gott spricht zu uns nicht in Beben, Tsunami und Kernschmelze. Für diese Dinge hat er uns Herz, Hand und Verstand gegeben. Aber er spricht zu uns durch Jesus Christus, der gesagt hat: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
Höchste Zeit, sich daran zu erinnern.
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