Mittwoch, 30. Dezember 2009

Codex Nr. 1

Angeblich unter ausgemustertem Altpapier, das für den Ofen bestimmt gewesen sein soll, fand Tischendorf 129 Pergamentblätter, die er auf Anhieb als uralte Fragmente aus dem Alten Testament identifizierte: Ein Text auf feinster Tierhaut in griechischer Unzialschrift geschrieben, auf jeder Seite vier Kolonnen. Tischendorf war wie elektrisiert. Einen so alten Text hatte er in keiner europäischen Bibliothek je gesehen. Egal ob der Text wirklich verbrannt werden sollte – was die Mönche bis heute heftig bestreiten – oder nicht, offensichtlich konnte von den damaligen Bewohnern des Klosters die altgriechische Schrift niemand mehr lesen. Den Mönchen war deshalb nicht klar, welchen Schatz sie da horteten. Tischendorf schaffte es, ihnen 43 der 129 Pergamentblätter abzuschwatzen. Im Triumph brachte er sie nach Leipzig.

Damit begann die neuere Geschichte des Codex Sinaiticus, der vermutlich im Jahr 340 in Caesarea im heutigen Israel verfasst wurde und als einzige erhaltene Bibelhandschrift aus dieser Zeit das vollständige Neue Testament enthält. Paläografen sprechen schlicht von „Nummer 1“. Seit diesem Jahr ist der Codex, der seit Jahrhunderten von niemandem mehr in einem Stück gelesen werden konnte, erstmals wieder vollständig und für jedermann einsehbar. In fünfjähriger Arbeit haben Experten der British Library, der Universität Leipzig, der russischen Nationalbibliothek in Petersburg und amerikanische Forscher im Sinai alle vorhandenen etwa 400 Pergamentblätter und Textfragmente nach neuestem Stand der Technik konserviert, fotografiert und digitalisiert und im Internet wieder zusammengefügt, wo der Codex Sinaiticus nun für jeden Interessierten frei zugänglich ist(www.codexsinaiticus.de).
http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/Urbibel-Bibel-Sonntag;art304,2983268

Dienstag, 29. Dezember 2009

Lehrrede auf dem Berg X

Wo ist Dein Glaube?

Die Frage, ob wir tatsächlich demjenigen, der uns den Blouson abnehmen will, tatsächlich auch noch das t-shirt anbieten, ist eine ziemlich harte Frage nach unserem Glauben. Wo steht dein Glaube? „O, ich glaube! Und wie! Ich glaube, dass wir durch Handauflegen jede Krankheit heilen können; ich glaube, dass wir Tote auferwecken können und auch selber auferstehen; ich glaube, dass ich Berge versetzen und den Fluß von Geldströmen ändern kann; aber das Geben seliger ist als Nehmen, das glaube ich nicht.“ Viele Christen scheinen so zu denken, jedenfalls handeln sie so. „Geben ist seliger als Nehmen“ – das kann doch nur das Rezept für einen gelungenen Boxkampf sein, aber doch keine Lebensregel! Aber wo ist denn nun dein Glaube und wo sind die Werke, die der Glaube hervorbringen soll, damit er lebendig wird?
Wenn Gott sagt, dass er denjenigen segnen will, der den Zehnten ins Vorratshaus bringt, damit in seinem Haus Speise ist, dann glauben manche nicht, dass man gesegnet wird, indem man weg gibt. Wir glauben allerdings, dass Gott uns sogar die gesundheitlichen Beeinträchtigungen heilt, die wir selber verursacht
haben und Mängel behebt, an denen wir selber Schuld sind; aber eine klare Aussage Gottes glauben wir nicht. Sagt mal selbst: Was für ein Glaube ist das?

(Lehrrede auf dem Berg; Matthäus 5 ff; auch: Bergpredigt)

Montag, 28. Dezember 2009

Mystiker-Zitat der Woche

Nichts sei dir Trübung,
nichts dir Erschrecken!
Alles vergeht,
nicht wandelt sich Gott.
Es kann Geduld
alles erlangen.
Wer Gott nicht loslässt,
kennt kein Entbehren.
Gott nur genügt.
(Solo Dios basta)

Teresa von Avila

Donnerstag, 24. Dezember 2009

Lehrrede auf dem Berg IX

Geliebter Feind

Einem bösen Menschen nicht zu widerstehen, ist das vielleicht so etwas wie seinen Feind zu lieben?
Jemanden zu lieben ist im Gegensatz zu dem, was häufig gedacht wird, ein sehr realistischer Vorgang. Es geht bei Liebe nicht um schöne Gefühle, um die
berühmten „Schmetterlinge im Bauch“; dies gehört zur Verliebtheit dazu und ist etwas, das man gerne spürt.
Liebe hat mit Realität zu tun. Feindesliebe hat zunächst ganz einfach mit der Erkenntnis zu tun: Jawohl, da ist ein Feind. Kein Freund, der sich nur mal verstellt hat; kein fehlgeleiteter Mensch, der es eigentlich so böse nicht meinen kann; sondern: ein Feind, jemand der mir Böses antun will und es keinesfalls gut mit mir meint.
Einige Menschen, gerade unter den Christen, können gar nicht glauben, dass es wirklich Feinde gibt, echt böse Leute, die keinesfalls gut sein wollen (jeden-falls nicht zu dir). Wenn ich nüchtern erkannt habe, dass ich einen Feind besitze (viel Feind‘, viel Ehr‘), kann ich darauf besonnen und nüchtern reagieren. ‚Kann ich den Feind bekämpfen und besiegen; soll ich mich mit ihm verbünden; ist er im Recht oder bin ich im Recht; kann ich aus dem Feind einen Freund machen?‘ Bevor du etwas unternimmst, denke nach und bete und berede die Angelegenheit mit Gott und bespreche die Sache mit deinen Freunden (denn: wo viele Ratgeber sind, da wird eine Sache gelingen). Mit dem Feind ist es so (wir reden hier von einem menschlichen Feind; mit der Feindschaft des Teufels müssen wir anders umgehen, als in der Bergpredigt gelehrt wird: „Dem widersteht fest im Glauben“.): Der Feind ist ein Mensch. Er ist, geradeso wie du, nach dem Ebenbild Gottes geschaffen. Geradeso wie du hat er diese Ebenbildlichkeit verloren und hat das Ziel verfehlt. Aber er ist immer noch ein Mensch; er gehört zur „Welt“, für die der Messias gestorben ist.

Das ist keine Gefühlsduselei, sondern Realität. Im Umgang mit einem Feind muss ich dieser Realität Rechnung tragen. Ich muss wissen: Ich könnte falsch liegen und mein Feind könnte Recht haben. Als David beschimpft wird und seine Männer den Lästerer des Königs zur Rechenschaft ziehen wollen sagt David: „Laßt das sein. Vielleicht hat er ja recht, vielleicht hat Gott ihm diese Worte gesagt, dass er sie mir weiter sagen soll.“ ( 2. Samuel, 16, 5 ff)
Vielleicht gehört dieser Feind in das Erziehungsprogramm, welches der Herr für dich vorgesehen hat, wie er gesagt hat: „Wenn ich zu mir nehmen, den erziehe ich und weise ich zurecht.“ Vielleicht sollst du an dem Feind Standhaftigkeit lernen, vielleicht aber auch Nachgiebigkeit? Wenn du darüber betest, was du tun sollst, dann kannst du bei der Gelegenheit auch für deinen Feind beten. „So wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“, heißt es in den Sprüchen. Autsch, wie gemein. Was ist gemeint?
In den Dörfern des Nahen Ostens war zur damaligen Zeit sowohl der Elektroherd als auch einfache Streichhölzer gänzlich unbekannt. Es oblag einem Dorfbewohner, über nacht ein Feuer zu hüten, Kohlen am glühen zu halten und dann, früh morgens, feurige Kohlen auf einen großen Metallteller zu häufen. Dann setzte er sich einen Ring aus Holz auf den Kopf und darauf den heißen Metallteller mit den glühenden Kohlen. Dann ging er von Haus zu Haus, von Hütte zu Hütte und die Hausfrauen nahmen mit einer Zange eine der glühenden Kohlen herunter und entzündeten damit das eigene Herdfeuer. Was für ein Segen am frühen Morgen! Kein langatmiges Feuermachen, sondern sofort Feuer für die Kochstelle. Wie viele freundliche Worte und Segenswünsche mag dieser Mann wohl gehört haben, bevor seine Runde zu Ende war? So liebst du deinen Feind: Aus einem bösen Widersacher wird ein gelobtes und nützliches Mitglied der Gesellschaft und er wird vielleicht sogar angesehener als du selber es bist. So kann Feindesliebe funktionieren.
Meiner Ansicht nach ist mit der Forderung, einem bösen Menschen nicht zu widerstehen nicht gemeint, dass wir einen gewalttätigen, gegenwärtigen und direkten Angriff auf uns oder einen Nächsten nicht ebenso gewalttätig zurückweisen dürfen. Das wäre mit der von uns bereits festgestellten, auf seiten Jesu und seiner Jünger durchaus vorhandenen Bereitschaft sich auch militant zu verhalten, nicht zu vereinbaren. Es geht auch hier um den Zeitpunkt und um das Maß und um unsere grundsätzliche Einstellung, um unseren Charakter.

(Lehrrede auf dem Berg; Matthäus 5 ff; auch: Bergpredigt)

Montag, 21. Dezember 2009

Das Mystiker-Zitat der Woche

Niemals soll der Mensch davon ablassen, vollkommener zu werden, soweit es hier möglich ist. Der äußere Mensch soll in den inneren gebracht werden, da wird der Mensch eingenommen, da wird solch Wunder, solcher Reichtum geoffenbart! Wahrlich, Kinder, wer hier viel hineingaffen wollte, der müsste oft zu Bette liegen, die Natur könnte es nicht ertragen.
(Tauler)

Samstag, 19. Dezember 2009

Lehrrede auf dem Berg VIII

Vergelt's Gott

„Ihr habt gehört, das euch gesagt wurde: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, dass ihr einer bösen Person nicht widerstehen sollt.“ Wer kann so leben? „Haut se, haut se, immer inne Schnauze“ – das liegt uns doch viel näher und ist es nicht auch viel realistischer? Die Menschen sind nun mal böse und man muss gewappnet sein und Boxen und Karate lernen. Noch einmal vorweg: Es geht in erster Linie um das Verhalten in der Gemeinschaft eines Volkes, in den sozialen Beziehungen, in der Familie, in der Gemeinde, in der allgemein verbindliche Regeln gelten, die auch im wesentlichen von allen Mit-gliedern anerkannt werden.
Die Regel „Auge um Auge“ gehört ins Zivilrecht, von dem Rabbi Jischmael sagt: „Wer weise werden will, der befasse sich mit dem Zivilrecht, denn es gibt innerhalb der Weisung kein Gebiet für dich, das mehr wäre als dieses, denn es
ist eine Art sprudelnde Quelle.“1 Das Wort für „Zivilrecht“ bedeutet wörtlich übersetzt „Geldurteile“ und damit ist auch schon klar, was mit „Auge um Auge“ gemeint ist: Es geht um Schadenersatz und nicht um gegenseitiges Augenausstechen.
Sehen wir näher hin: „Wer seinen Nächsten verletzt, kann ihm gegenüber wegen fünferlei verpflichtet werden: Für Wertminderung, für Schmerz, für Kur, für Zeitverlust und Beschämung. Auf welche Weise für Wertminderung? Hat er ihm ein Auge geblendet, eine Hand abgehauen oder einen Fuß zerbroch-en, so sieht man den Geschädigten an, als ob er ein Sklave sei, der auf dem Markt verkauft wird, und man schätzt, wie viel er wert war und wieviel er jetzt wert ist. Schmerz: Hat er ihn mit einem Bratspieß oder mit einem Nagel gebrannt, und sei es auch nur auf seinem Fingernagel, also an einer Stelle, an der keine Wunde entsteht, so veranschlagt man, wie viel ein Mensch wie er verlangen würde, wenn er Gleiches zu ertragen hätte. Kur: Hat er ihn geschlagen, so ist er für die Heilungskosten ersatzpflichtig. Sind ihm Geschwüre gewachsen, so ist er ersatzpflichtig, wenn sie wegen des Schlages entstanden sind, aber frei, wenn sie nicht wegen des Schlages entstanden sind. War die Wunde geheilt und ist aufgebrochen, wieder geheilt und aufgebrochen, so ist er für die Heilungskosten ersatzpflichtig; war die nötige Heilung schon ganz erreicht, so ist er für die Heilungskosten nicht ersatzpflichtig. Zeitverlust: Man sieht ihn an, als ob er einer sei, der Gurken bewacht; denn er hat ihm ja den Wert für seine Hand oder den Wert für seinen Fuß schon ersetzt. Beschämung: Alles entsprechend dem Stand des Beschämers und des
Beschämten.“2

Das ist doch nur gerecht. Das hat sich bis heute erhalten: Jedes Jahr gibt es einen Katalog, in dem die Rechtsprechung der Gerichte über Schmerzensgeld genau katalogisiert ist. Schadenersatzforderungen regelt das BGB, so dass ein gerechter Ausgleich erfolgen kann.
Wieso ist Jesus dagegen? Denkt darüber nach, indem ihr die von Jesus gegebe-nen erläuternden Beispiele in Betracht zieht.
Sucht nach Parallelen im Ersten Testament, wie z.B. 5. Mose 15, 7-11: Wenn irgendeiner deiner Brüder arm ist in irgendeiner Stadt in deinem Land, das der Herr, dein Gott, die geben wird, so sollst du dein Herz nicht verhärten und deine Hand nicht zuhalten gegenüber deinem armen Bruder, sondern sollst sie ihm auftun und ihm leihen, soviel er Mangel hat ... du sollst ihm geben, und dein Herz soll sich’s nicht verdrießen lassen, dass du ihm gibst; denn dafür wird dich der Herr, dein Gott, segnen in allen deinen Werken und in allem, was du unternimmst.“

(Lehrrede auf dem Berg; Matthäus 5 ff; auch: Bergpredigt)

Mittwoch, 16. Dezember 2009

Glaube und Jugend

Jeder zweite junge Mensch in Deutschland glaubt offenbar an Gott und ein Leben nach dem Tode. Dieses ergibt sich aus der Auswertung von 7.000 Online-Fragebögen, die Jugendliche im Alter von 17 bis 21 Jahren im Rahmen des Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung ausgefüllt haben. Die Antworten bestätigen auch die Ergebnisse einer repräsentativen Untersuchung von 2008.

Weit über die Hälfte der christlichen Jugendlichen ist davon überzeugt, dass Gott keine menschliche Idee, sondern ein personales Gegenüber ist. Selbst rund zehn Prozent der Konfessionslosen teilen diese Ansicht. Rund die Hälfte der jungen Christen hat die Gegenwart Gottes im eigenen Leben schon erfahren. Bei den Konfessionslosen sind es gut 15 Prozent. "Liebe" verbinden mit Gott über 50 Prozent der 14- bis 17-jährigen Katholiken, bei den evangelischen Gleichaltrigen sind es gut 40 Prozent. Bei den 18- bis 21-Jährigen sagen das rund zwei Drittel der katholischen und rund 47 Prozent der evangelischen Christen.
...
Der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung untersucht weltweit Fragen von Religiosität und Glaube. Er wurde von Religionswissenschaftlern, Soziologen, Psychologen und Theologen entwickelt und 2007 zum ersten Mal angewendet. Von den bisher beantworteten 25.000 Online-Bögen betreffen ca. 7.000 die Altersgruppe der 14- bis 21-Jährigen, auf die sich die obige Auswertung bezieht.

http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-7270F3B3-EEF4631F/bst/hs.xsl/nachrichten_99224.htm

Dienstag, 15. Dezember 2009

Das Mystiker-Zitat der Woche

… das ist und heißt wahre Einigung mit Gott, dies Versinken und Verschmelzen des geschaffenen Geistes in den ungeschaffenen Geist Gottes.
Tauler

Sonntag, 13. Dezember 2009

Ein großes Wunder ist dort geschehen.

Das achttägige jüdische Lichterfest Chanukka erinnert an die Reinigung und Wiedereinweihung des jüdischen Tempels in Jerusalem vor über 2000 Jahren nach der Beendigung der griechischen Besatzung.
Der Überlieferung nach gab es im Tempel nur noch einen kleinen Krug mit wenig Öl für den Leuchter. Dennoch brannte der Leuchter damit auf wundersame Weise acht Tage lang, bis neues Öl für den Leuchter bereitet worden war.

Das Jüdische Museum Berlin feiert Chanukka gleich einen ganzen Monat lang: mit einem Chanukka-Markt im Glashof des Museums, mit Chanukka-Produkten aus der ganzen Welt, jüdischen Spezialitäten und einem ausgefallenen Begleitprogramm mit Puppenspiel, Live-Konzerten und Führungen zu den jüdischen Feiertagen. Der Chanukka-Markt ist Marktplatz, Treffpunkt und Ausstellung zugleich. Ob Traditionelles oder Ausgefallenes, Kitsch oder Kunst - hier finden sich originelle Geschenkideen aus Deutschland, den USA und Israel. Ein Café lädt zum Verweilen ein und eine kleine Ausstellung erzählt von den historischen Hintergründen und Festtagsritualen zu Chanukka.

Besuchen Sie den Chanukka-Markt:
29. November bis 27. Dezember 2009, täglich 12-18 Uhr (24.12. geschlossen)

Sonntag, 6. Dezember 2009

Lehrrede auf dem Berg VII

Sanftmut zum zweiten

Ist Gott sanftmütig? Über Jesus ist gesagt, er sei sanftmütig und von Herzen demütig und gleichzeitig sagt er über sich selbst: „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“ Aber ist Gott nicht ein verzehrendes Feuer? Wo bleibt da die Sanftmut? Oft genug „entbrennt“ Gottes Zorn im Ersten Testament (4. Mose 11,1; 25,3; Psalm 2,5 usw.). Wir sollen Gottes Nachahmer sein und Jakobus rät uns diesbezüglich: „Seid langsam zum Zorn“ ( Jakobus 1,9). Das hängt mit Sanftmut zusammen: Gehe nicht bei allem und jedem gleich an die Decke, sei langsam zum Zorn.
Es gibt noch einen anderen Zusammenhang. In Mt 5,22 sagt Jesus, dass jeder, der seinem Bruder zürnt, dem Gericht anheim fallen kann. Für das Verb „zürnen“ steht hier im Griechischen orgizesthai und steht im Gegensatz zu thymos, was einen kurzen, schnell auflodernden und dann auch schnell wieder zu besänftigenden Zorn meint. Orgizesthai ist ein tiefes, ein im eigenen Wesen verwurzeltes Zürnen, welches ein Mensch festhält und nährt. Auch Gottes Zorn kann schnell „entbrennen“ und auflodern, aber ist auch schnell wieder zu besänftigen. So sollen die Sanftmütigen auch sein.

Laßt mich euch noch ein wenig mit der Sanftmut nerven. Wenn wir das Thema erörtern, dann hören wir leicht, dass jemand sagt: Wie kann denn ein Volk sanftmütig sein, wenn es dauernd angegriffen wird? So als ginge es bei der Charaktereigenschaft der Sanftmut darum, sich wehrlos zu machen.
Es geht auch darum, sich in der Gemeinschaft der Heilgen, in der eigenen Gemeinde in angemessener Weise zu bewegen und einander zu begegnen in mitmenschlicher Gemeinschaft.
Wie geht man miteinander um? Wie redet, wie streitet man miteinander in sanftmütiger Weise? Vielleicht langweilt das manch einen, weil er unsere erste Aufgabe darin sieht, die Welt vom Teufel zu befreien, die bösen Geister aus Berlin zu vertreiben und die Stadt für Gott zu erobern. Darf man erinnern: „Derjenige, der langsam ist zum Zorn ist besser als die Mächtigen und derjenige, der seinen Geist beherrscht ist besser als einer der eine Stadt erobert.“ (Sprüche 16, 32) Also, wie ist das mit der Sanftmut in der Diskus-sion?
Rabbi Kalman Packouz stellte vor einiger Zeit jede Woche eine „weekly torah portion“ ins Internet (www.aish.com/torahportion/shalomweekly/Chukat). In einer der Portionen hat er einige Tips für eine erfolgreiche Diskussion veröffentlicht. Lesen wir mal nach (Übersetzung aus dem Englischen von mir):
Streit eskaliert mit der Lautstärke der Streiter. „Eine sanfte Antwort nimmt den Zorn hinweg“ (Sprüche 15:1) Je kraftvoller die andere Person argumentiert, um so ruhiger wird deine Antwort. Du wirst sehen, dass die andere Seite ihren Ton ebenfalls senkt.
Du kannst dich dort nicht streiten, wo es Übereinstimmung gibt. „Das ist ein guter Punkt.“ „Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.“ „Du hast absolut recht.“ Richte deine Aufmerksamkeit auf die Punkte, mit denen du überein-stimmst und nicht auf die, wo du eine abweichende Meinung hast.
Gib zu, dass du falsch gelegen hast. Niemand hat je völlig Recht. Finde etwas, wofür du dich entschuldigen, für das du die Verantwortung übernehmen kannst. Die andere Person wird sich besser fühlen und wird dann auch selbst Fehler einräumen.
Beschuldige nicht und greife nicht an. Sage nicht: „Du hast das und das gesagt!“ oder „Du hast dies oder das getan!“ Stelle Fragen, mache keine Fest-stellungen. Und stelle ernsthafte Fragen und gebrauche Fragen nicht Angriffs-waffe.
Erinnere dich an dein Ziel! Im Falle der Ehe möchtest du Harmonie, Friede, eine gute Atmosphäre und Liebe erreichen. Argumente brüten Stress und Furchtsamkeit, nicht Friede und angenehme Zufriedenheit. Sage dir selbst: ich liebe meinen Ehepartner, ich liebe meine Kinder, ich liebe mein Geld (denn Scheidungen sind sehr teuer).
Sei nicht so blöde, dem/der von dir Auserwählten und dir selbst Respektlosig-keit zu zeigen, indem du Dinge sagst, die zerstörerisch wirken, die gemein sind oder wertlos. Du hast dir diese Person als Ehepartner ausgewählt. Das ist über alle anderen Personen diejenige, welche die Qualitäten hat, die sie vor allen anderen Milliarden Menschen auf diesem Planeten auszeichnet.
Biege ein Argument in eine Diskussion um. Verteidige keine Position; suche danach, eine Idee oder ein Problem zu klären. Menschen guten Willens, die gemeinsam nachdenken können zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Höre mit offenem Verstand zu. Sei ein Richter und kein Anwalt.
Frage dich selbst: Ist dieses Argument wirklich den Streit wert? Es mag doch am Ende so sein, dass alles über das argumentiert wurde absolut trivial ist.

Was sagen wir dazu? Ist das Sanftmut in Aktion oder sind das nur ein paar Tricks, um den Gegner am Ende doch dahin zu bekommen, wo man ihn haben will?

Laßt uns zur Abrundung noch ein „Wortgefecht“ betrachten, das im Talmud überliefert ist. Es diskutierten Rabi Jehoschua, Chananjas Sohn und die Alten der Athenischen Schule.
Jehoschua wird gefragt: „Wenn das Salz schlecht wird, womit soll man es salzen? Er sagte zu ihnen: Mit der Nachgeburt einer Mauleselin! Frage: Gibt es denn eine Nachgeburt einer Mauleselin? Antwort: Und wird denn Salz schlecht?
Frage: Womit soll man ein Beet aus Messern abhauen? Antwort: Mit dem Horn eines Esels. Frage: Gibt es denn ein Eselshorn? Antwort: Und gibt es denn ein Messerbeet?
Sie brachten ihm zwei Eier und sagten zu ihm: Welches ist von einer dunklen Glucke, und welches ist von eine hellen Glucke? Da brachte er zwei Käse und sagte zu ihnen: Welcher ist von einer dunklen Ziege, und welcher ist von einer hellen Ziege?1

Lassen wir mal den Inhalt beiseite, der hat fast Talkshowformat. Aber schaut euch die Form an: Auf die Art kann ein Gesprächspartner dich mit dem größten Blödsinn nerven und versuchen, dich aus der Ruhe zu bringen: Es wird ihm nicht gelingen.

(Lehrrede auf dem Berg; Matthäus 5 ff; auch: Bergpredigt)

Samstag, 5. Dezember 2009

Das Mystiker --Zitat der Woche

Tauler

Vom Gebet sagen der heilige Augustinus und der heilige Anselm, es sei ein Aufgehen des Gemütes in Gott.
… Ich aber sage euch eins: Kehre dich in Wahrheit von dir selbst und von allen geschaffenen Dingen und richte dein Gemüt völlig hinauf zu Gott über alle Kreaturen in den tiefen Abgrund, da hinein versenke deinen Geist in Gottes Geist, in wahrer Gelassenheit aller deiner obersten und niedersten Kräfte, über alle Sinne und alles Verständnis hinaus, in eine wahren Vereinigung mit Gott innerlich im Grunde.