Sonntag, 27. September 2009

Lehrrede auf dem Berg III

Welches Land wird geerbt?

Welches Land? In manchen Übersetzungen steht sogar: Das Erdreich. Das ist nicht die nahe liegendeste Auslegung, nicht der einfache Wortsinn, der Peschat. Wenn wir den Bezug auf Psalm 37 nehmen, dann geht es hier um das Land Israel, um den Landstreifen im Nahen Osten, um „ein ganz besonderes Territorium an der Ostküste des Mittelmeers.“1

Nur wenn wir diese Aussage erweitern und die Gläubigen aus den Nationen mit hinein nehmen, können wir sagen: Die Erde wird den Sanftmütigen gehören, so wie wir es in dem Buch der Offenbarung zu lesen ist.
Das ist aber hier nicht die Hauptsache. Jesus wiederholt hier die Zusage Gottes an sein Bundesvolk. Jedoch: „Da das Evangelium einen universalen Anspruch hat, und weil das Christentum dem Irrtum erlegen ist, Gott sei an Israel als Volk nicht mehr interessiert, gehen die Christen in der Regel davon aus, dass das Neue Testament auf die eine oder andere Weise die Verheißung Gottes, dem jüdischen Volk das Land Israel zu geben, für nichtig erklärt habe. Die Vorbehalte der Christen gegen den modernen Staat Israel basieren denn auch nicht zuletzt auf dieser falschen Prämisse. Um diesen Irrtum aufzuklären, müssen sowohl Juden als auch Christen erkennen, dass das Neue Testament keine einzige der Verheißungen Gottes an das jüdische Volk aufgehoben hat ...“
2
Der Journalist und messianische Jude Ludwig Schneider hat in einem seiner Vorträge gesagt, dass es bei der Gründung des Staates Israel genau 12 messianische Juden in Israel gegeben hat. Ein kleiner Überrest; aber an dem habe es wohl gelegen, dass die Gründung erfolgreich gewesen sei.
Ich mächte die Formel „die Sanftmütigen werden das Land ererben“ und: „Die Friedfertigen werden Kinder Gottes heißen“ an dem Beispiel Israelis / Palästinenser noch ein wenig ausführen.

1 Stern, a.a.O., S. 65

2 ebenda

Montag, 21. September 2009

Rosch haSchanah:

Präsident Barak Obama zum Neujahr 5770

As members of the Jewish faith here in America and around the world gather to celebrate the High Holidays, I want to extend my warmest wishes for this New Year. L’Shanah Tovah Tikatevu – may you have a good year, and may you be inscribed for blessing in the Book of Life.

Rosh Hashanah marks the start of a new year – a time of humble prayer, joyful celebration, and hope for a new beginning. Ten days later, Yom Kippur stands as a day of reflection and repentance. And this sacred time provides not just an opportunity for individual renewal and reconciliation, but for families, communities and even nations to heal old divisions, seek new understandings, and come together to build a better world for our children and grandchildren.

At the dawn of this New Year, let us rededicate ourselves to that work. Let us reject the impulse to harden ourselves to others’ suffering, and instead make a habit of empathy – of recognizing ourselves in each other and extending our compassion to those in need.

Let us resist prejudice, intolerance, and indifference in whatever forms they may take — let us stand up strongly to the scourge of anti-Semitism, which is still prevalent in far too many corners of our world.
Let us work to extend the rights and freedoms so many of us enjoy to all the world’s citizens – to speak and worship freely; to live free from violence and oppression; to make of our lives what we will.

And let us work to achieve lasting peace and security for the state of Israel, so that the Jewish state is fully accepted by its neighbors, and its children can live their dreams free from fear. That is why my Administration is actively pursuing the lasting peace that has eluded Israel and its Arab neighbors for so long.

Throughout history, the Jewish people have been, in the words of the Prophet Isaiah, “a light unto the nations.” Through an abiding commitment to faith, family, and justice, Jews have overcome extraordinary adversity, holding fast to the hope of a better tomorrow.

In this season of renewal, we celebrate that spirit; we honor a great and ancient faith; and we rededicate ourselves to the work of repairing this world.

Michelle and I wish all who celebrate Rosh Hashanah a healthy, peaceful and sweet New Year.




Sonntag, 20. September 2009

Lehrrede auf dem Berg II

Der Sanftmütige ist erbberechtigt


Wer ist arm im Geiste? Einer meiner Schullehrer pflegte, wenn die Klasse wieder einmal keine Antwort auf seine Fragen wusste, zu sagen: „Ja, selig sind die geistig Armen!“ Aber selig sind eben nicht die Dummen oder die, die zum Lernen zu faul sind. Geistig arm sind Menschen, die fähig sind, sich unterzuordnen, die, auch wenn sie reich sind, fähig sind, die „verletzliche Haltung armer Menschen“ zu zeigen.
Was sagt das
Pirke Avot, was sagen die Worte der Väter, darüber, welcher Mensch fähig ist, die Thora zu lernen? Der Sanftmütige, stimmt’s?
Und die Sanftmütigen werden das Land besitzen, wie schon Psalm 37, 11 verspricht: „Aber die Sanftmütigen werden das Land ererben und sich großen Friedens freuen.“ Wie kann jemand sanftmütig werden, damit er Erbe wird? Kann man Sanftmut trainieren? Bis zu einer gewissen Grenze schon. Es ist sehr wohl möglich, seine Gedanken und seine Handlungen zu beherrschen, wie wir zum Beispiel von den Mystikern lernen können. Und Paulus sagt uns auch: „Die leibliche Übung ist zu wenig nütze, die geistliche Übung (das geistliche Training) aber ist zu allem nütze“ und: „Ich bezwinge meinen Leib.“ Wir haben allerdings einen guten Lehrer für derlei Übungen; und für uns muss das Training nicht einmal besonders anstrengend sein, denn „Sanftmut ist eine Frucht des Geistes“.
Wie ist das im Ersten Testament? Wer ist bevorzugt, der Sanftmütig oder der her der Fanatiker? Nehmen wir den Nachfolger für Mose. Josua wurde nach Mose der Führer Israels. Warum nicht Pinchas? Der war entschieden, der griff durch! In 4. Mose 25,7 sehen wir das und in 31, 6: Pinchas war ein Mann, der voran ging. Und Gott hat ihn nicht unbelohnt gelassen: Er wurde Priester, obwohl sein Vater Eliasar zur Zeit der Geburt des Pinchas noch kein Priester gewesen war. Er bekam die erbliche Priesterschaft als Lohn für seinen Einsatz. Aber er wurde nicht der Leiter Israels. Mose betet in 4. Mose 27, 16 f: Es bestelle der Ewige einen Mann über die Gemeinde, welcher ausziehe vor ihnen und wieder einziehe, und der sie ausführe und der sie einführe, dass nicht sei die Gemeinde des Ewigen wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ (Genau dies war der Befund Jesu: Zu seiner Zeit waren sie „wie Schafe, die keinen Hirten hatten“). Im Midrasch heißt es, dass Mose betete: „Herr der Welt. Du kennst die Herzen der Menschen und weißt, wie der ein sich von dem anderen unterscheidet. Bestimme über sie zum Führer, der die Fähigkeit besitzt, der verschiedenen Geistesart eines jeden Rechnung zu tragen.“ Das also sind nach der Vorstellung der Rabbinen die Anforderungen an einen Leiter. Es geht in erster Linie um Eigenschaften wie Geduld und Verständnis. Mose hat diese Eigenschaften angenommen, nachdem er vierzig Jahre im Exil gelebt hatte; zuvor war er weder sanftmütig noch geduldig. Wir alle kennen die Geschichte mit dem ägyptischen Aufseher, den Mose erschlägt. Die Wanderung durch die Wüste und der Einzug ins gelobte Land zeigen einen anderen, einen sanftmütigen Mose, einen, der für sein Volk eintritt und der für sein Volk Verzicht übt. Und dennoch: Mose schlug den Felsen mit dem Stab zweimal, obwohl der Herr ihm gesagt hatte: Redet zu dem Felsen. (4. Mose 20:8 ff); Mose war noch nicht friedfertig genug. Er durfte nicht in das verheißene Land.
Sehen wir uns David an. Für meine Begriffe nicht eben mit Sanftmut geschlagen. Gott sagt über ihn: Er ist ein Mann nach meinem Herzen. Aber den Tempel durfte er nicht bauen: es klebte zuviel Blut an seinen Händen. Die Sanftmütigen werden das Land erben.

Mittwoch, 16. September 2009

Lehrrede auf dem Berg I

Mathäus 5, 1 – 7,29

Einleitung

Die folgenden Kapitel sind für das Verständnis davon, wie sich die Kirche zum Judentum verhält, wie sich das Erste Testament zum Neuen Testament verhält und welche Bedeutung die Thora für Christen hat, von großer Bedeutung.
Jesus tritt uns hier als Lehrer gegenüber, als der Messias, von dem die Juden der damaligen Zeit erwarteten, dass er die
Thora in neuem Licht erscheinen läßt, dass er sie neu auslegt. So heißt es z.B. in Hen. 49,1-3: „Weisheit ist wie Wasser ausgegossen, u. Herrlichkeit hört nimmer vor ihm (Messias) auf ... denn er ist mächtig über alle Geheimnisse der Gerechtigkeit .... in ihm wohnt der Geist der Weisheit und der Geist dessen, der Einsicht gibt, u. der Geist der Lehre und Kraft...“.
Von daher sehen wir auch die Beunruhigung der Zuhörer am Ende der Lehrrede: Die Menschen staunten über seine Lehre, denn er lehrte mit Vollmacht, nicht wie die Schriftgelehrten es taten. Rabbiner und Schrift-gelehrte pflegten ihre Lehrauffassungen mit den Meinungen anderer, möglichst angesehener und meist schon verstorbener Gelehrter zu begründen. Etwa nach der Formel: Rabbi X sagt im Namen des Rabbi Y, welcher im Namen des Rabbi Z sagte .... (folgt die Lehraussage). Jesus sagt in seiner Lehrrede wiederholt: „Es wurde euch gesagt, ich aber sage euch ....“ (folgt die Lehr-aussage. Darüber kennen wir die Reden der Propheten, die eingeleitet wurden mit den Worten: „So spricht der Herr...“. Auch demgegenüber sagt Jesus schlicht: „Ich aber sage euch ...“
Er lehrte wie einer der Vollmacht hatte. Er muss als Lehrer eine gute Arbeit geleistet haben, denn die Jünger, denen der auferstandene Herr auf dem Weg nach Emmaus die Schrift auslegte, fanden, dass ihnen „das Herz brannte“, dass ihr gesamtes inneres Wesen von der Lehre ergriffen war. Jesus muss auch deshalb gute Arbeit geleistet haben, weil aufgrund seiner Lehre mit Hilfe des Heiligen Geistes die Jünger in wenigen Jahrzehnten seine Lehre in „alle Welt“ getragen hatten – allen Verfälschungsversuchen und Irrlehren zum Trotz.

Zur Zeit Jesu war die Vorstellung der Juden darüber, wie jemand „gerettet“ werden kann in etwa folgender Maßen: Das Gesetz musste buchstäblich erfüllt werden, dann war derjenige, der dies tat, im Willen Gottes und wurde von ihm angenommen. Der Erfüllung von Geboten standen die Missetaten gegenüber wie auf einer Waage. Senkte sich die Schale mit den Missetaten, so kam der Missetäter in die Hölle, senkte sich die Schale mit den guten Taten, mit den Gebotserfüllungen, so war der Mensch gerecht und gerettet. Das war die Vorstellung dieser Zeit, das war die Lehre hauptsächlich der Pharisäer. Jesus wird zeigen, dass dies nicht dem biblischen Befund entspricht.

Gerecht wurde ein Mensch in der Vorstellung des Judentums also durch gute Taten, durch die Erfüllung von Geboten. „An Gelegenheit zu Gebots-erfüllungen ... mangelt es dem Israeliten nicht: die Tora begleitet ihn mit ihren Vorschriften auf Schritt u. Tritt, von der Wiege bis zu Bahre, so dass es niemand in Israel gibt, der nicht täglich 100 Gebotserfüllungen aufzuweisen in der Lage wäre.“
Durch die Erfüllung eines Gebotes wird ein Verdienst vor Gott erworben, mit der Übertretung eines Gebotes entsteht eine Schuld. Über Erfüllung und Übertretung wird im Himmel Buch geführt. Wie wir in der Betrachtung des Buchs der Offenbarung gesehen haben, ist diese Art von Buchführung auch am Ende der Zeiten nicht abgeschafft, allerdings mit dem Unterschied, dass die Buchhaltung über die Belohnung des Gerechten entscheidet und nicht darüber entscheidet, ob er gerecht ist oder nicht. Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, läßt sich nur durch die Annahme des Sühnetodes Jesu erreichen.
Für die damalige Auffassung genügt also eine Übertretung, welche die Gebots-erfüllung überwiegt, um den armen Menschen in die Verdammnis zu stürzen: „Da aber eine einzige an der Majorität fehlende Gebotserfüllung für das Gesamturteil über einen Menschen entscheidend werden kann, so wird dem Frommen der Rat erteilt, dass er sich immer zur Hälfte als einen Gerechten u. zur Hälfte als einen Gottlosen ansehe, vollbringt er dann eine Micvah, wohl ihm! Er hat die Waagschale der Verdienste zu seinen Gunsten geneigt.“

Dieser Art des frommen Lebensstils hat in der christlichen Kirche über einige Jahrhunderte Konjunktur gehabt; dann kam Luther und befand, dass man nicht durch Werke gerettet wird, sondern durch Glauben/Vertrauen. Den zuvor zitierten Satz (achte dich halb als gerecht und halb als verworfen) habe ich fast wörtlich in einer evangelikalen Predigt gehört, lange bevor ich ihn bei Strack-Billerbeck gelesen habe. Es sieht so aus, als wäre die Werkgerechtigkeit und die Ungewissheit über das eigene Heil nicht tot zu kriegen. Wir können uns also schon jetzt, ganz am Anfang unserer Betrachtung der Lehrrede darüber bewusst sein, dass auch uns die Gewissheit über unsere vorbehaltlose Annahme seitens Gottes wegen des Sühnetodes seines Sohnes, immer wieder verloren gehen kann.
Wir lesen und studieren die Bergpredigt nicht, damit wir wissen, wie wir gerettet werden können, sondern damit wir wissen, wie wir Gott gefällig leben und aller seiner Segnungen hier teilhaftig werden können, wie wir also glücklich leben können und dann später, wenn die Bücher aufgetan werden, eine anständige Belohnung erhalten.
Wir sollten darauf sehen, dass aus unserem Glauben, aus unserem Vertrauen auf das Erlösungswerk des Messias, gute Werke hervor kommen, nicht dass es uns so geht wie denen, zu denen Jesus sagen musste: Ich war krank und ihr habt mich nicht besucht, verschwindet, ich kenne euch nicht.
Für einen frommen Juden der damaligen Zeit kam es darauf an, die Verdienste möglichst zu mehren und die Sündenschuld zu verringern. Die Verdienste zu mehren war Aufgabe eines jeden einzelnen Menschen. Er konnte Gäste beher-bergen, Kranke besuchen, Gelehrte unterstützen, Trauernde trösten usw. Notfalls konnte man auch noch zurückgreifen auf die Verdienste der Väter.

Die Schuld ließ sich durch Sühnung mindern. „Der Mensch sühnt Sünde u. Schuld durch Buße, Fasten u. Gebet; Gott schafft Sühnung durch die im Gesetz vorgeschriebenen Opfer, durch den Versöhnungstag, durch Leiden, die er über den Menschen bringt, u. endlich durch den Tod des Menschen. Strack-Biller-beck hierzu: „Die altjüdische Religion ist hiernach eine Religion völligster Selbsterlösung; für einen Erlöser-Heiland, der für die Sünde der Welt stirbt, hat sie keinen Raum.“

Was sagen wir dazu? Ist Sündenvergebung durch das Opfern eines Tieres („ohne Blut keine Vergebung der Sünden“) wirklich „Selbsterlösung“? Würde das nicht bedeuten, dass die
Thora Selbsterlösung lehrt und so, anstatt das Kommen des Messias vorzubereiten, das genaue Gegenteil macht, nämlich seine Annahme durch die Lehre der Thora selbst verhindert?
Der Bund mit Abraham wurde geschlossen durch das Vergießen von Blut (durch das „Schneiden“) der Opfertiere; wenn dieser Bund verletzt wird, muss erneut Blut vergossen werden, damit der alte Zustand wieder hergestellt werden kann.
Ist der Tod eines Menschen eine Sühne für seine Sünden? In der Zeit der alten Synagoge gab es diese Vorstellung. Aber selbst wenn diese Vorstellung stimmen sollte (sie stimmt nicht), wäre das denn „Selbsterlösung“? Der Mensch bringt sich doch nicht willentlich als Sündopfer selbst um; das wäre sogar Sünde.
Für die Zeit der alten Synagoge bleibt der Buchstabe der
Thora für alles maßgeblich. „Ob es sich um seine religiös-sittlichen Pflichten gegen Gott handelte oder um sein Verhalten gegen Staat u. Gesellschaft, überall war sein Tun und Lassen geregelt durch die Satzungen der Halakah.“ Das menschliche Handeln wurde nach dem Buchstaben des Gesetzes beurteilt. „Lehrreich sind in dieser Hinsicht diejenigen Fälle, in denen man gewisse Gesetzesbestim-mungen auf Grund des Buchstabens einer andren Gesetzesbestimmung zum eigenen Vorteil umgehen konnte. Man nannte das „klüglich“ oder „schlau“ handeln. Tatsächlich lag in solchen Fällen eine Umgehung irgendeiner Gesetzesvorschrift vor; aber da sie durch den Buchstaben einer andren Gesetzesbestimmung legalisiert war, so galt sie als erlaubt u. berechtigt. Dass dieses „klügliche“ Verfahren eine besonders sittliche Handlungsweise darstellte, wird niemand behaupten; aber es zeigt, wie die pharisäische Gesetzespraxis das sittliche Verhalten allmählich herabdrückte auf eine Stufe mit dem korrekten Verhalten gegen den Buchstaben des Gesetzes. Das Gesetz hört auf, sittlichen Zwecken zu dienen, die Erfüllung seines Buchstabens wurde Selbstzweck. Das war die letzte Folge des Grundsatzes, dass die Erfüllung des Buchstabens des Gesetzes sich „decke mit der Erfüllung des Willens des göttlichen Gesetzgebers.“ Es wurde dann, um dem gegen zu steuern, verlangt, dass bei der Gesetzeserfüllung die Vorstellung vorhanden sein müsse, dass diese geschähe, um der jeweiligen Gesetzesbestimmung zu genügen; so wurde eine völlige Gedankenlosigkeit bei der Gesetzesferfüllung vermieden. Es wurde auch festgelegt, dass eine Gebotserfüllung, die durch den Verstoß gegen ein anderes Gebot zustande kommt, nichtig sei. Rabbinische Gelehrte ver-langten eine Herzensfrömmigkeit und es wurde der Grundsatz formuliert, dass das nachsichtige u. wohlwollende Verhalten gegen Menschen höher stehe als das rein legale Verhalten nach Maßgabe des starren Buchstabens des Rechts.
Diese Auffassung waren aber in der Minderheit, allgemein hatte sich die Auffassung durchgesetzt, dass die buchstäbliche Erfüllung des Gesetzes dem Willen Gottes genüge tue.

Nun kommt Jesus. Wie geht er in der „Bergpredigt“ vor? Greift er die falschen Vorstellungen von der Rettung durch Werke oder die Meinung, dass die buchstäbliche Erfüllung des Gesetzes genüge, um den Willen Gottes zu erfüllen, direkt an? Das macht er nicht. Er zerstört nicht, er baut auf. Er bringt das Neue und erneuert das Alte. Er sagt seinen Zuhörern: „Wenn eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer nicht weit übertrifft, so werdet ihr gar nicht in das Himmelreich eingehen!"“(Mt. 5, 20) Dann zeigt er in einigen Beispielen, dass die Forderungen, die Gott stellt, weit über eine buchstäbliche Deutung hinausgehen. Die buchstäbliche Befolgung kann also nicht die Gerechtigkeit ergeben, die vor Gott gilt. Die Zuhörer sollen erkennen, dass ihre eigenen Anstrengungen nicht ausreichen, dass ihre eigene Kraft sie nicht gerecht machen kann. Daher sagt er ihnen gleich zu Anfang: seid arm im Geist, dann seid ihr selig, hungert nach der wahren Gerechtigkeit, dann werdet ihr selig.
Dieses „selig“ ist mit der Umschreibung „gesegnet, glücklich, vom Schicksal begünstigt“ wieder zu geben. In Psalm 144, 15 heißt es: „Wie gesegnet/glück-lich/vom Schicksal begünstigt ist das Volk, dessen Gott Adonai ist.“ Es steckt also eine Menge drin in diesem „selig“; es wäre gut, zu denen zu gehören, die „selig“ sind.
Vom Schicksal begünstigt zu sein, auch das kommt manch einem vielleicht bekannt vor. Wer kann Thora lernen? Nach den Pirke Avot, den Worten der Väter aus dem Talmud, ist dazu u.a. derjenige fähig, der sich über sein Schicksal freut, also derjenige, so kann man erweitern, der sich vom Schicksal begünstigt fühlt. Das muss nicht einmal den Tatsachen entsprechen, wenn man einen objektiven Maßstab anlegt. Vielleicht bist du krank, vielleicht alt und gebrechlich oder früh vergreist, vielleicht hast du in den letzten zwanzig Jahren deine Hausaufgaben nicht gemacht und stehst jetzt ohne Ausbildung im Leben. Bist du selig oder maulig? Du darfst dich entscheiden.