Sonntag, 15. Mai 2011

Mitfreude

Ich komme aus einer christlichen Familie, die sich über jeden gelungenen Attentatsversuch auf Hitler unbändig gefreut hätte. Ob sie diese Freude öffentlich geäußert hätte, hing allein ab von den politischen Umständen. Kein Mensch konnte voraussehen, wie es im Lande nach dem Tod Hitlers ausgesehen hätte: wahrscheinlich hätten fanatische Nazis hemmungslos auf öffentlich zu ihrer Freude bekennende Menschen geschossen. Von der Freude über den Tod eines Massenmörders ist daher zu unterscheiden die Frage, wann und wo man diese öffentlich kundtut. Allein darüber kann man abwägend diskutieren.

Theologischer Unfug ist es, Freude über den Tod eines Menschen generell verbieten zu wollen. Der Tod von Menschen provoziert – Gott sei Dank! – immer Gefühle, und Christen sind keine Stoiker, die ataraxia=Gefühllosigkeit anstreben. Meine Großmutter sagte kurz vor ihrem Tod „Ich darf heimgehen“.

Die Umstehenden fühlten dennoch Trauer, die aber galt ihrem eigenen Verlust. Wenn wir von einem lang sich hinziehenden Sterben sagen, der Tod war eine Erlösung, empfinden wir ein Gefühl des Dankes. Wenn ein Massenmörder getötet wird, darf man wegen der Menschen, die er nicht mehr umbringen kann oder, wie im Falle Bin Ladins, durch seine charismatische Macht umgebracht werden könnten, dankbar sein und sich freuen.

Ob man diese Freude äußert, hängt von den Umständen ab. Selbst die leidenschaftlichsten politischen Gegner des US-Präsidenten haben sich in Washington von ihren Sitzen erhoben, um dem Präsidenten Anerkennung und freudigen Dank zu erweisen. Daß die deutsche Bundeskanzlerin sich – im Grunde sehr zurückhaltend – dem anschloß, halte ich schon darum für gerechtfertigt, weil eine der zentralen Figuren für die Attentate in den USA sich in Hamburg unbehelligt auf die mörderische Tat vorbereiten konnte. Weitere Opfer Bin Ladins in Deutschland waren durchaus nicht auszuschließen. Verbundenheit, erst recht Freundschaft, drückt sich nicht nur in Mitleid aus sondern auch in Mitfreude.

Hermann E.J.Kalinna
Oberkirchenrat i.R.

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