Sonntag, 15. November 2009

Lehrrede auf dem Berg V

Es geht im Folgenden nicht darum, Israels Regierung darüber zu beraten, wie sie ihre Staatsbürger vor Terroristen schützt und wie sie ihr Land verteidigen sollen. Wir sollten uns hüten, in dieser Diskussion den Mund aufzumachen. Es geht mir hier nur darum, festzustellen, wer das Land erben wird: die Sanftmütigen und Friedfertigen oder die warheads, die Krieger und Kriegsfertigen.
Die Sache wird einen Augenblick länger dauern und wir müssen uns in aller Kürze mit der Entstehung des Staates Israels befassen. Nehmt die folgenden Ausführungen als Herausforderung, selber nachzulesen und gründlicher zu studieren, als dies hier in wenigen Minuten eines Blogeintrages geschehen kann.
Denkt bitte auch daran, dass es nicht darum geht, Beschuldigungen gegen Israel zu erheben und diesem Staat das Existenzrecht abzusprechen. Unser Platz ist an der Seite Israels. Er ist aber nicht an der Seite von Mythen und Halbwahrheiten.

Seit 1982 die Kriegstagebücher Ben-Gurions und Tausende von bis dahin geheim gehaltener Dokumente rund um die Staatsgründung durch das israelische Staatsarchiv veröffentlicht wurden, sind Motivation und Intention Ben Gurions und anderer führender Zionisten publik geworden. Man kann sehr genau wissen, was sie vorhatten und auf welche Weise sie ihre Vorhaben durchsetzen wollten.
Der israelische Historiker
Simcha Flapan (1911 – 1987) hat dieses sehr umfangreiche Material mit Unterstützung amerikanischer Stiftungen und einem großen Forscherteam an der Harvard-Universität untersucht. Flapan lebte 40 Jahre in einem israelischen Kibbuz, er war dreißig jahrelang Generalsekretär der israelischen, linken Mapam-Partei, die „als einzige Fraktion im Zionismus das Selbstbestimmungsrecht der arabischen Palästinenser anerkannte und sich mit anderen kleinen Gruppen für eine friedliche Zusammenarbeit zwischen Juden und Arabern einsetzte.“1 Küng meint, er sei „über allen Verdacht der Israelfeindlichkeit erhaben“; wobei wir im Kopf haben, dass auch ein „Linker“ möglicher Weise seine Vorurteile und entsprechende Filter hat, die dann doch nur einen Teil der Wahrheit durchlassen.
Nach
Simcha Flapan gehört folgendes zu den Mythen der Gründung des Staates Israel: „Das Einverständnis der zionistischen Bewegung mit der UN-Teilungsresolution vom 29. November 1947 stellte einen einschneidenden Kompromiss dar, mit dem die palästinensischen Juden ihre Vorstellung von einem sich über ganz Palästina erstreckenden jüdischen Staat aufgaben und den Anspruch der Palästinenser auf einen eigenen Staat anerkannten. Israel war zu diesem Opfer bereit, weil es die Voraussetzung dafür war, dass die Resolution in friedlicher Zusammenarbeit mit den Palästinenser verwirklicht werden konnte.“2 Flapan führt hierzu aus, dies sei „nur ein taktisches Zugeständnis im Rahmen einer unveränderten Gesamtstrategie (gewesen). Diese Strategie zielte darauf ab, zunächst einmal die Schaffung eines selbständigen Staates der arabischen Palästinenser zu hintertreiben. Ein erster Schachzug in diese Richtung war der Abschluß eines Geheimabkommens mit Abdallah von Trans-jordanien, der mit der Annektierung des für einen Palästinenserstaat vorge-sehenen Gebiets den ersten Schritt in Richtung auf sein erträumtes großsyrisches Reich zu tun glaubte. Des Weiteren zielte diese Strategie auf die Ausweitung des von der UNO für den jüdischen Staat ausgewiesenen Territoriums.“
Küng stellt im Weiteren fest, dass der Krieg zwischen Juden und Arabern möglicherweise vermeidbar gewesen wäre, da sich viele palästinensische Führer vor der Unabhängigkeitserklärung Israels „durchaus um einen Modus vivendi bemüht“ hätten.3 Er zitiert Flapan, demzufolge „zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und 1952 .. Israel nacheinander etliche von arabischen Staaten und neutralen Vermittlern unterbreitete Vorschläge zurück (wies),die zu einer Friedensregelung hätten führen können.“ So soll Ben-Gurion den Dauerkonflikt mit der arabischen Welt bewusst in Kauf genommen haben, weil er die westliche Welt auf seiner Seite wusste.
Hätte es andere Möglichkeiten gegeben?
Flapan und Küng zufolge schon. Es gab durchaus vermeidbare Gewalttaten in der Endstehungsphase des Staates Israel. So hatte es Vladimir Jabotinsky , Begründer der Hagana und späterer Führer der Irgun erklärter Maßen darauf abgesehen, durch „geplante Provo-kationen und willkürliche Bombenattentate bewusst Hass und Feindschaft säen und zu versuchen, die Araber mit jenen terroristischen Methoden und Praktiken zu bekämpfen, die dann dreißig Jahre später der Al-Fatah, der pälästinen-sischen Terrororganisation von Jasir Arafat, als Vorbild dienen sollten.“4
Terror wurde nicht nur gegen die Araber geführt, sondern auch gegen die Engländer, dies ab 1941 insbesondere durch die Irgun unter Leitung von
Menachim Begin. Es gab Anschläge auf die arabischen Märkte in Jerusalem und Haifa; der britische Nahost-Bevollmächtigte Moyne wurde 1944 ermordet und das „King David“ Hotel wurde 1946 gesprengt, wobei es 91 Tote gab. Auch die Ermordung des UNO-Vermittlers Graf Folke Bernadottes 1948 soll auf das Konto der Irgun gehen.
Verbrechen, welche eine friedliche Entstehung des Staates nicht eben gefördert haben.
Es gab durchaus Gegenpositionen. Der 1933 aus Deutschland geflüchtete Zionist
Nahum Goldmann wirkte von 1935-1940 als Vertreter der Jewish Agency beim Völkerbund in Genf für die Gründung des Staates Israel und setzte sich, insbesondere auch in seiner Zeit als Präsident des Jüdischen Weltkongresses (1949-1977) „entschieden für die Zusammenarbeit zwischen Juden und Arabern ein. Als unermüdlicher Förderer der jüdisch-arabischen Verständigung musste der in und außerhalb der jüdischen Welt hoch angesehene Mann in Konflikt geraten mit jenen israelischen Politikern zur Rechten und zur Linken, die offen oder geheim auf einen homogenen Judenstaat hinarbeiteten, der sich über die Gesamtheit oder jedenfalls den größten Teil Palästinas erstrecken sollte. Selbst ein Chaim Weizmann war nicht willens, den Palästinensern jene nationalen Rechte oder Ziele zuzuerkennen, die er als ganz selbstverständlich für die Juden beanspruchte. Man kann es nicht übersehen: Auf die Gründung des Staates Israel fiel von Anfang ein Schatten – ganz gegen Herzls und vieler anderer Zionisten Intentionen. Wie anders wäre doch manches verlaufen, wenn man mehr auf Nahum Goldmann (oder Martin Buber) gehört hätte.“5
Im Unabhängigkeitskrieg 15.5.1948 bis 24.2.1949 siegt Israel über Jordanien, Ägypten, den Irak, über Syrien und Libanon. Soweit so gut, Israel hatte den Krieg nicht angefangen, meine Sympathien gehören dem Sieger. Aber in diesem Krieg hat die Irgun das Dorf Dir Jassin ausgelöscht, Frauen und Kinder niedergemetzelt, ohne dass dafür irgend jemand auf israelischer Seite zur Verantwortung gezogen wurde. Rund 850.000 Araber flohen aus den Gebieten, in denen sie seit Jahrhunderten gelebt hatte. Sie wurden zwar nicht von Israel vertrieben, aber gegen die Massenflucht wurde von israelischer Seite auch nichts unternommen. Es wurden nach der Flucht der Araber 360 Dörfer und 14 Städte dem Erdboden gleichgemacht, um eine Rückkehr der Flüchtlinge zu verhindern.
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Der „Schatten“, der über die Gründung des Staates Israel fiel ist nicht einfach ein vergänglicher Schatten gewesen, sondern es war die Saat, die später aufging und zu einer Ernte führte, die immer noch blutig eingefahren wird. Was der Mensch sät, das erntet er auch, ob Jude oder Araber oder Berliner.

Es gibt eine Menge sehr guter Gründe dafür, dass wir als Christen und als Deutsche auf der Seite Israels stehen und ich persönlich will auch auf Israels Seite bleiben. Ich möchte mich aber nicht zu einem der in unseren Kreisen zahlreich vertretenen politischen Sprecher des Likudblocks machen lassen. Jesus hat gesagt: Die Sanftmütigen werden das Land besitzen und die Friedfertigen werden Gottes Kinder heißen. Das ist die Botschaft, dass ist die Prophetie. Was sollte uns hindern, dafür zu beten, dass in Israel die Sanftmütigen zunehmen und die Friedfertigen sich vermehren, damit sie das Land besitzen. Denn zwischen „besitzen“ und „besetzen“ besteht ein gewal-tiger Unterschied. Der läßt sich recht leicht feststellen, wenn man im Ersten Testament nachliest, mit welchen Verheißungen die Verheißung des Landes verbunden waren.

1 Küng, Das Judentum, München, 2. Auflage, 2001

2 Flapan, Simcha, Die Geburt Israels. Mythos und Wirklichkeit, München 1988, zitiert nach: Küng, a.a.O.

3 Küng, S. 366

4 ebenda, S. 360

5 Küng, a.a.O., s. 363

6 ebenda, S. 369

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