Mittwoch, 30. Dezember 2009

Codex Nr. 1

Angeblich unter ausgemustertem Altpapier, das für den Ofen bestimmt gewesen sein soll, fand Tischendorf 129 Pergamentblätter, die er auf Anhieb als uralte Fragmente aus dem Alten Testament identifizierte: Ein Text auf feinster Tierhaut in griechischer Unzialschrift geschrieben, auf jeder Seite vier Kolonnen. Tischendorf war wie elektrisiert. Einen so alten Text hatte er in keiner europäischen Bibliothek je gesehen. Egal ob der Text wirklich verbrannt werden sollte – was die Mönche bis heute heftig bestreiten – oder nicht, offensichtlich konnte von den damaligen Bewohnern des Klosters die altgriechische Schrift niemand mehr lesen. Den Mönchen war deshalb nicht klar, welchen Schatz sie da horteten. Tischendorf schaffte es, ihnen 43 der 129 Pergamentblätter abzuschwatzen. Im Triumph brachte er sie nach Leipzig.

Damit begann die neuere Geschichte des Codex Sinaiticus, der vermutlich im Jahr 340 in Caesarea im heutigen Israel verfasst wurde und als einzige erhaltene Bibelhandschrift aus dieser Zeit das vollständige Neue Testament enthält. Paläografen sprechen schlicht von „Nummer 1“. Seit diesem Jahr ist der Codex, der seit Jahrhunderten von niemandem mehr in einem Stück gelesen werden konnte, erstmals wieder vollständig und für jedermann einsehbar. In fünfjähriger Arbeit haben Experten der British Library, der Universität Leipzig, der russischen Nationalbibliothek in Petersburg und amerikanische Forscher im Sinai alle vorhandenen etwa 400 Pergamentblätter und Textfragmente nach neuestem Stand der Technik konserviert, fotografiert und digitalisiert und im Internet wieder zusammengefügt, wo der Codex Sinaiticus nun für jeden Interessierten frei zugänglich ist(www.codexsinaiticus.de).
http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/Urbibel-Bibel-Sonntag;art304,2983268

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen