Samstag, 2. Januar 2010

Lehrrede auf dem Berg XI

O Mercy

Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Lapide übersetzt: Sie werden barmherzigt werden. Möchtest du mal richtig barmherzigt werden? Dann barmherzige andere, denn was der Mensch sät, das wird er ernten. Das ist das höchst Glück auf Erden: Barmherzigen und barmherzigt werden.
Natürlich kommt bei uns sofort die Angst hoch, wir könnten ausgenutzt werden, wenn wir so gutmütig, sanftmütig und barmherzig sind. Das kann passieren. Na und? Paulus fragt: Warum laßt ihr euch nicht lieber übervorteilen? (1.Kor. 6,7) und das obwohl im 3. Mose 25,24 die Weisung steht: „Du sollst deinen Bruder nicht übervorteilen.“ Du sollst niemanden übervorteilen, dich selber aber kannst du ruhig übervorteilen lassen, bevor du einen Streit lostrittst, von dem niemand weiß, wie er ausgehen wird.

Man kann nach den Weisungen der Berglehre nicht leben? Man kann danach keine Politik machen? Wir haben gar keine Wahl: Entweder oder, Segen oder Fluch. Lebe nach der freundlichen Weisung Gottes, oder rutsch mir den Buckel runter. Dabei geht es nicht darum, dass wir nicht mehr für jemanden eintreten oder Fürbitte tun, der zum 1000sten Mal den gleichen Unsinn gemacht hat, sondern darum, dass wir es uns verbitten, uns immer wieder das gleiche Gejaule anzuhören, wenn die Dinge erwartungsgemäß schief gegangen sind. Lebe nach der freundlichen Weisung Gottes oder trage die Folgen deines Ungehorsams. Fürbitte gibt es wohl, Fürgehorsam aber nicht. Wenn Bruder Z gesegnet werden will, nutzt es ihm gar nichts, wenn Schwester Y großzügig ist und er selbst ein Knauser. Natürlich werden wir für den Knauser beten, aber wir können ihn nicht betäuben und ihm sein Geld abnehmen.
Die großzügige Schwester Y hat „ein gutes Auge“. Das ist nicht angeboren. Das „gute Auge“ (Mt. 6, 22-23) ist ein Hebraismus (ein feststehender Ausdruck im Hebräischen) dafür, dass ein Mensch wohlwollend ist, großzügig und freigiebig. Das „böse Auge“ ist hingegen (ebenso feststehend) eine Metapher für Neid, Mißgunst, Eifersucht und Geiz. Wir kennen das im Deutschen mit der Redewendung: Jemanden scheel ansehen, also voller Falschheit, voller Neid z.B. Die sinngemäße Übersetzung von Mt. 6, 22-23 ist demgemäß: „Wenn nun dein Auge Wohlwollen ausstrahlt, so wird dein ganzes Wesen von Licht erfüllt; wenn aber dein Auge durch Mißgunst trübe wird, so wird dein ganzes Wesen verfinstert.“ Großzügig zu sein ist nicht angeboren, wie schon gesagt, sondern kann trainiert werden (oder um es mit Ballack zu sagen: Das kann man nicht trainieren, das muss man üben). Auch dabei gilt: Aller Anfang ist schwer, aber angefangen muss werden.

(Lehrrede auf dem Berg; Matthäus 5 ff; auch: Bergpredigt)

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