Vergelt's Gott
„Ihr habt gehört, das euch gesagt wurde: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, dass ihr einer bösen Person nicht widerstehen sollt.“ Wer kann so leben? „Haut se, haut se, immer inne Schnauze“ – das liegt uns doch viel näher und ist es nicht auch viel realistischer? Die Menschen sind nun mal böse und man muss gewappnet sein und Boxen und Karate lernen. Noch einmal vorweg: Es geht in erster Linie um das Verhalten in der Gemeinschaft eines Volkes, in den sozialen Beziehungen, in der Familie, in der Gemeinde, in der allgemein verbindliche Regeln gelten, die auch im wesentlichen von allen Mit-gliedern anerkannt werden.
Die Regel „Auge um Auge“ gehört ins Zivilrecht, von dem Rabbi Jischmael sagt: „Wer weise werden will, der befasse sich mit dem Zivilrecht, denn es gibt innerhalb der Weisung kein Gebiet für dich, das mehr wäre als dieses, denn es
ist eine Art sprudelnde Quelle.“1 Das Wort für „Zivilrecht“ bedeutet wörtlich übersetzt „Geldurteile“ und damit ist auch schon klar, was mit „Auge um Auge“ gemeint ist: Es geht um Schadenersatz und nicht um gegenseitiges Augenausstechen.
Sehen wir näher hin: „Wer seinen Nächsten verletzt, kann ihm gegenüber wegen fünferlei verpflichtet werden: Für Wertminderung, für Schmerz, für Kur, für Zeitverlust und Beschämung. Auf welche Weise für Wertminderung? Hat er ihm ein Auge geblendet, eine Hand abgehauen oder einen Fuß zerbroch-en, so sieht man den Geschädigten an, als ob er ein Sklave sei, der auf dem Markt verkauft wird, und man schätzt, wie viel er wert war und wieviel er jetzt wert ist. Schmerz: Hat er ihn mit einem Bratspieß oder mit einem Nagel gebrannt, und sei es auch nur auf seinem Fingernagel, also an einer Stelle, an der keine Wunde entsteht, so veranschlagt man, wie viel ein Mensch wie er verlangen würde, wenn er Gleiches zu ertragen hätte. Kur: Hat er ihn geschlagen, so ist er für die Heilungskosten ersatzpflichtig. Sind ihm Geschwüre gewachsen, so ist er ersatzpflichtig, wenn sie wegen des Schlages entstanden sind, aber frei, wenn sie nicht wegen des Schlages entstanden sind. War die Wunde geheilt und ist aufgebrochen, wieder geheilt und aufgebrochen, so ist er für die Heilungskosten ersatzpflichtig; war die nötige Heilung schon ganz erreicht, so ist er für die Heilungskosten nicht ersatzpflichtig. Zeitverlust: Man sieht ihn an, als ob er einer sei, der Gurken bewacht; denn er hat ihm ja den Wert für seine Hand oder den Wert für seinen Fuß schon ersetzt. Beschämung: Alles entsprechend dem Stand des Beschämers und des
Beschämten.“2
Das ist doch nur gerecht. Das hat sich bis heute erhalten: Jedes Jahr gibt es einen Katalog, in dem die Rechtsprechung der Gerichte über Schmerzensgeld genau katalogisiert ist. Schadenersatzforderungen regelt das BGB, so dass ein gerechter Ausgleich erfolgen kann.
Wieso ist Jesus dagegen? Denkt darüber nach, indem ihr die von Jesus gegebe-nen erläuternden Beispiele in Betracht zieht.
Sucht nach Parallelen im Ersten Testament, wie z.B. 5. Mose 15, 7-11: Wenn irgendeiner deiner Brüder arm ist in irgendeiner Stadt in deinem Land, das der Herr, dein Gott, die geben wird, so sollst du dein Herz nicht verhärten und deine Hand nicht zuhalten gegenüber deinem armen Bruder, sondern sollst sie ihm auftun und ihm leihen, soviel er Mangel hat ... du sollst ihm geben, und dein Herz soll sich’s nicht verdrießen lassen, dass du ihm gibst; denn dafür wird dich der Herr, dein Gott, segnen in allen deinen Werken und in allem, was du unternimmst.“
(Lehrrede auf dem Berg; Matthäus 5 ff; auch: Bergpredigt)
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