Barmherzigkeit zum Zweiten
Kommen wir noch einmal zur Barmherzigkeit zurück.
Barmherzigkeit ist ohne Weisheit, ohne Einfühlsamkeit nicht praktikabel. Derjenige, der eine andere Person „barmherzigen“ will, muss sich in diese Person hineinversetzen können und ihr mit dem Trost dienen, der gebraucht wird. Barclay gibt zu diesem Thema ein Beispiel aus dem Leben Jesu und liefert damit zugleich eine interessante Auslegung von Lukas 10, 38-42: „Als Jesus die beiden Frauen in ihrem Haus aufsuchte, waren es nur noch wenige Tage bis zu seinem Kreuzestod und es ging ihm bei seinem Besuch lediglich um eine kurze Zeit der Ruhe und Entspannung. Er wollte innerlich ruhig werden. Da Martha Jesus liebte und in ihm den Ehrengast sah, dem man das Beste vorsetzen mußte, was Haus und Keller boten, rannte sie geschäftig hin und her und klapperte mit Töpfen und Geschirr – eine Qual für die angespannten Nerven Jesu, der sich nach Stille sehnte. Obwohl Martha es gut meinte, hätte sie kaum etwas Schlimmeres tun können. Maria dagegen hatte begriffen, dass Jesus sich nach innerem Frieden sehnte. Wie oft müssen andere es hinnehmen und sich damit abfinden, dass wir ihnen Freundlichkeiten erweisen, die sie gar nicht als solche empfinden! Wenn wir uns dagegen stets in die Lage des anderen zu versetzen bemühten, wären unsere Freundlichkeiten doppelt wirksam, und manche unbeabsichtigte Unfreundlichkeit unterbliebe.“
Wenn Barmherzigkeit damit verbunden ist, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen, quasi in seine Haut zu schlüpfen, dann stellt euch einmal vor, wie barmherzig Gott gewesen ist: Er wurde Mensch; er schlüpfte in unsere Haut.
(Lehrrede auf dem Berg; Matthäus 5 ff; auch: Bergpredigt)
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